Auge um Auge

„Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an“, diese biblische Botschaft aus Sacharja 2,12, zitiert der Theologe Dietrich Bonhoeffer im November 1938 in einem Brief. Da war es erst wenige Tage her, dass in Deutschland unzählige jüdische Synagogen, Wohnhäuser und Geschäfte in der „Reichpogromnacht“ auf brutale Weise in Brand gesteckt wurden. Wie kaum ein anderer hatte sich der Christ Bonhoeffer für seine jüdischen Brüder und Schwestern stark gemacht. Seine Haltung gipfelte in dem Satz: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“

Nicht erst seit dem diabolischen Angriff der Hamas auf unschuldige, israelische Bürger am 7. Oktober müssen wir feststellen: Antisemitismus ist wieder mitten in der Gesellschaft angekommen ist. Erschreckenderweise auch in unserem eigenen Land.

Sicher kann man zum Staat Israel und seiner Politik der letzten Jahre unterschiedlicher Meinung sein, aber die biblische Botschaft über Gottes berufenem Volk ist eindeutig: „Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an.“ Das gilt bis heute, denn Jesus, der Sohn Gottes, war selber ein Jude.

Das Bild von Gottes Augapfel findet sich noch an weiteren Stellen der Bibel. Im 5. Buch Mose, heißt es: „Der Herr behütete sein Volk wie seinen Augapfel.“ (Dtn 32,10) Dort wird beschrieben, wie Gott Israel als Jüngling annahm und behütete. Es wird die wechselvolle Geschichte Israels bis zur babylonischen Gefangenschaft nachgezeichnet. Den Menschen im Exil wird Rückkehr verheißen und denen, die ihnen Gewalt antun, Vergeltung angedroht. Allerdings heißt es dort auch: „Die Rache ist meinich will vergelten.“ (Dtn 32,35) Paulus versteht das im Römerbrief so, dass Vergeltung allein in Gottes Hand liegt und nicht Sache der Menschen ist. (Röm 12,19)

In der Reaktion Israels auf den Angriff der Hamas mischen sich Verteidigung und Vergeltung. Ehrlich gesagt, kann ich den Wunsch nach Vergeltung gut nachvollziehen. Schon die – für mich doch fernen – Bilder wecken in mir eine Mischung aus Hilflosigkeit und Wut. Und es steht mir auch nicht an, den moralischen Zeigefinger zu erheben. Als Deutschem nicht. Und in dieser Situation, in der Israel in seinen Grundfesten erschüttert ist, schon zweimal nicht.

Trotzdem habe ich auch Mitgefühl mit den Menschen im Gazastreifen, die jetzt der Reaktion der Israelis ausgesetzt sind. Ihr Leid wird von der Hamas billigend in Kauf genommen. Mehr noch: Die Hamas kalkuliert es gezielt mit ein, um den Hass gegen Israel weiter zu schüren. Und das Perfide ist, dass diese Strategie funktioniert. Frieden wird es dagegen nur dann jemals geben, wenn Versöhnung gelingt. Wenn die arabische Welt als Ganze das Existenzrecht Israels anerkennt. Und wenn alle Menschen im Einflussgebiet Israels unter menschenwürdigen Bedingungen leben. Leider scheint das so fern wie selten zuvor.

Unserer Verantwortung für Israel zum Trotz können wir hier nicht viel tun. Aber wir können uns zumindest dem widersetzen, wenn auf unserem Boden die Gräuel der Hamas gefeiert werden. Und wir können an der Verheißung Gottes festhalten. Im selben Prophetenbuch, aus dem Bonhoeffer die Stelle mit dem Augapfel zitiert hat, finden sich Worte, die auch unseren christlichen Glauben bis heute prägten: „Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern.“ (Sach 9,9f) Das ist Verheißung und Sehnsucht zugleich.

 

 

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